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Angeklagt = automatisch schuldig? „Ganz klar nein“, sagt Bianca Meyering. Die 40-Jährige hat viel mit dem Gericht zu tun, als Jugendschöffin. Für sie gilt ganz eindeutig: „Die Schuldfrage wird während der Verhandlung geklärt.“
Seit Januar 2009 ist die Niederlangenerin als Jugendschöffin am Landgericht Osnabrück tätig. 16 Verhandlungen hat sie bisher absolviert. Ihre „Einsatzorte“: die 3. Große Jugendstrafkammer, die 21. Berufungskammer sowie die 7. Kleine Strafkammer (BJdR) und die 10. Große Jugendkammer. Ob Diebstahl, Körperverletzungen oder sexueller Missbrauch, die Reihe der Anklagen ist lang, mit denen sie es im Laufe der Jahre zu tun hatte. Über konkrete Fälle darf sie nicht sprechen. Sie unterliegt – wie zum Beispiel ein Arzt – der Schweigepflicht. Nur so viel: Es gab bis dato noch keinen Fall, der die Emsländerin auch noch nach Verlassen des Gerichtssaals beschäftigte. „Unschöne Sachen“ habe es natürlich noch gegeben, aber die seien nicht zu den „harten Fällen“ zu zählen.
Waren immer alle Urteile gerecht, an denen sie beteiligt war? Meyering überlegt nicht lang. „Wir wohnen auf jeden Fall jeder Verhandlung mit der Einstellung bei, gegenüber Angeklagten, Opfern und Zeugen absolute Neutralität zu wahren und sicherzustellen.“ Ob ein Urteil gerecht ist, das könne man pauschal nicht sagen. „Der Verurteilte wird es möglicherweise als nicht gerecht empfinden“, räumt die Mitarbeiterin des Landkreises Emsland ein. Auf jeden Fall habe das Strafrecht die Aufgabe, wichtige Rechtsgüter, die für ein friedliches Zusammenleben unentbehrlich sind, besonders zu schützen. Folglich werde der Schutz dadurch gewährleistet, „dass ein Eingriff unter Strafe gestellt wird. Dazu bietet das Strafrecht eine breite Palette von Reaktionsmöglichkeiten.“
Durchschnittlich drei Verhandlungen pro Jahr wohnt Meyering, die auch Mitglied des aktuellen Leserbeirats der Meppener Tagespost ist, bei. Dafür wird sie, wie alle anderen Schöffen auch, von ihrem Arbeitgeber freigestellt. Für die Tätigkeit hatte sie sich beworben. Das kann jeder interessierte Bürger zwischen 25 und 69 Jahren, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ausgeschlossen von der Wahl sind Personen, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurden oder gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen einer schweren Straftat schwebt, die zum Verlust der Übernahme von Ehrenämtern führen kann. Außerdem sollten diese Personen nicht hauptamtlich in der oder für die Justiz tätig sein (zum Beispiel Richter, Polizeibeamte, Bewährungshelfer usw.).
All diese Voraussetzungen erfüllt die 40-Jährige. Ihre Motivation für ihre Schöffenarbeit ist kurz umrissen: „Ich möchte das Vertrauen in die Justiz stärken.“
Die ehrenamtlichen Schöffen müssen für dieses Amt vor allem in hohem Maß Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Reife des Urteils, aber auch geistige Beweglichkeit, Menschenkenntnis, Intuition, Mut zum Richten über Menschen und aufgrund des Sitzungsdienstes auch eine körperliche Eignung mitbringen. Als Laienrichter haben sie Beweise zu würdigen und dem Prozess objektiv und unvoreingenommen zu folgen. Zudem müssen sie die Zeit investieren, sich über die Rechte und Pflichten des Schöffen weiterzubilden. So wurde ihr zum Beispiel eine Fortbildung in Berlin angeboten, bei der sie Kriminaltechnikern über die Schulter schauen kann.
Schöffen wie die Niederlangenerin sind ehrenamtliche Richter oder Laienrichter, die als Vertreter des Volkes nicht über eine juristische Ausbildung verfügen, sondern die Rechtsauffassung der Allgemeinheit in die Entscheidungsfindung einbringen. „Als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung sollen sie das Vertrauen in die Justiz und die Bereitschaft zu rechtstreuem Verhalten stärken“, erklärt Meyering.
Während einer Hauptverhandlung üben die Schöffen das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter aus. Sie tragen die gleiche Verantwortung für einen Freispruch oder eine Verurteilung wie die Berufsrichter.
So haben die Emsländerin und ihre Kollegen das Fragerecht an Angeklagte, Zeugen und Sachverständige. Sie sind an Beratungen und Abstimmungen während der Hauptverhandlung zu beteiligen. Alle verfahrensbeendenden Entscheidungen wie Urteile oder Einstellung, aber auch mit dem Urteil zusammenhängende Entscheidungen wie zum Beispiel Bewährungsauflagen werden von den Schöffen mitentschieden. Sie genießen die richterliche Unabhängigkeit wie die Berufsrichter, sind jedoch auch den gleichen strafrechtlichen Anforderungen unterworfen.
Zu den Pflichten zählen auf jeden Fall die Teilnahme an den Sitzungen und die Pflicht zur Verschwiegenheit. Außerdem müssen Schöffen auch unparteiisch sein. „Während der Verhandlung blende ich subjektive Empfindungen aus“, sagt die 40-Jährige. Ihr ist ein besonnener Umgang mit allen an den Verfahren beteiligten Personen wichtig.
Geduld, Besonnenheit, Mut und Gelassenheit – das sind Tugenden, die sie für das Ehrenamt für unerlässlich hält. „Geduld, um zu warten und auch abzuwarten, Besonnenheit, um vorschnelle und unüberlegte Entscheidungen oder Taten zu vermeiden, Mut, um zu fragen und auch zu richten über Menschen, Gelassenheit, um die Fassung und vor allem die unvoreingenommene Haltung zu wahren.“
Im Jugendstrafrecht, mit dem sie es zu tun hat, steht vor allem der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Und immer gilt für Meyering: Angeklagt nicht gleich automatisch schuldig. (Ems-Zeitung vom 10.07.2013, Carola Alge, Niederlangen)