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Zum 75. Mal hat sich am vergangenen Samstagabend die Nacht gejährt, in der die Nationalsozialisten das Leben Tausender jüdischer Mitbürger zerstörten. In den Novemberpogromen von 1938 wurden Synagogen und Geschäfte vernichtet, Juden verfolgt und getötet. Wie in ganz Deutschland erinnerten an diese Nacht des Terrors auch im nördlichen Emsland Menschen mit Gedenkveranstaltungen in Werlte, Sögel, Lathen und Papenburg.
Mit einigen gezielten Schlägen hämmert ein Schüler in Papenburg auf eine Glasscheibe ein, auf der in großen Lettern „Würde“ geschrieben steht.
Als die Scheibe in unzählige Splitter zerspringt, treten weitere Schüler der Papenburger Heinrich-van-Kleist-Schule auf die Bühne und halten ihre Botschaft zunächst wortlos in die Höhe. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, ist dort zu lesen. Eine Schülerin greift zum Mikrofon und spricht die mehr als 200 Anwesenden der Erinnerungsfeier zur Reichspogromnacht am ehemaligen Standort der Synagoge am Papenburger Hauptkanal direkt an: „Stell dir vor, du siehst, wie sie die Häuser und das Hab und Gut der unschuldigen Menschen zerstören, die du gerne hast und die keinem etwas getan haben.“
In einem szenischen Spiel hatten die Schüler zuvor das Publikum auf eine bewegende Zeitreise in die Nacht der Reichspogrome vor 75 Jahren mitgenommen. Dass Ausgrenzung und Diskriminierung aber auch heute nicht an Aktualität verloren haben, mahnte Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluft (CDU) in seiner Ansprache an. „Wie können wir heute Faschismus und Rassismus, Homophobie, Diskriminierung und Ausgrenzung, Mord und Totschlag vorbeugen?“, fragte er.
Für eine nachdenkliche Stimmung sorgte zudem die musikalische Begleitung des Abends durch das Klezmerensemble des Gymnasiums Papenburg sowie durch den Musikverein Papenburg von 1996.
Rollenspiel von Schülern
Unter dem Leitgedanken „Zukunft braucht Erinnerung“ ist anlässlich des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht in der Schule am Schloss in Sögel der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus gedacht worden.
Mitgestaltet wurde die bewegende Gedenkfeier von Achtklässlern des Wahlpflichtkurses Geschichte, die sich in den vergangenen Monaten zusammen mit ihrem Lehrer Jürgen Jansen intensiv mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich auseinandergesetzt hatten. In einem Rollenspiel erinnerten sie an die Ausgrenzung jüdischer Schüler als Reaktion auf das Attentat des jungen Herschel Grünspan auf den Legationsrat Ernst von Rath. „Schulfreunde nur aufgrund ihrer Religion und wegen der Tat eines Einzelnen auszugrenzen und auseinanderzureißen, darf in Zukunft nie wieder passieren“, mahnte Schülerin Jessica Hinrichs am Ende des Szenenspiels.
Im besonderen Gedenken an die Familien Jacobs und Weinberg, die von den Nationalsozialisten getötet wurden und für die im kommenden Jahr die nächsten sogenannten „Stolpersteine“ verlegt werden sollen, verlasen die Schüler ihre Namen und entzündeten auf weißen Sockeln stehende Kerzen. Im Anschluss daran trug die Schulband zwei Musikstücke vor, deren mit Bedacht gewählte Texte nicht nur nachdenklich stimmen, sondern auch dazu animieren sollten, die „Stimme zu erheben“, wie die Sögeler Bürgermeisterin Irmgard Welling (CDU) erklärte. „Ihr seid die Zukunft der Welt. Ihr werdet Anteil daran haben, wie die Welt in Zukunft aussieht“, sagte sie, an die Schüler gerichtet.
Die Gedenkfeier der Gemeinde Lathen gestalteten Schüler der neunten Realschulasse der Grund- und Oberschule Lathen mit.
Mit meditativen Texten, die vom Klarinettenspiel ihrer Lehrerin Astrid Düthmann umrahmt wurden, erinnerten die Jugendlichen an die Zerstörung der einst „blühenden“ jüdischen Gemeinde in Lathen.
Sie gedachten dabei der Opfer des Holocaust und mahnten gleichzeitig „zur Wachsamkeit gegen alle Menschenverächter“. Die „notdürftig vernarbten Wunden“ der Verletzten seien immer noch da. Aber „auch die Wunden der Schuld und der Scham“, hieß es in einem Gebet.
Zum Zeichen der Erinnerung an die Lathener Juden entzündeten die Schüler für jede der neun jüdischen Familien eine Kerze vor dem Gedenkstein für die einstige Synagoge. Mit dem Wunsch, dass die Erinnerung an sie so beständig sein möge wie ein Stein, legten sie auch für jeden der aus Lathen ermordeten Juden nach jüdischer Tradition einen Stein als Form des Gedenkens nieder.
Um derartige Gräueltaten in Zukunft zu verhindern, sei es an jedem, „aufmerksam zu sein und gegen gewalttätiges Gedankengut anzutreten“, mahnte Bürgermeisterin Luise Redenius-Heber (CDU). Gemeinsam mit Samtgemeindebürgermeister Karl-Heinz Weber verneigte sie sich vor den Opfern mit der Niederlegung eines Blumenschmucks.
Die Holocaust-Überlebende und Ehrenbürgerin Erna de Vries wohnte der Gedenkfeier in Begleitung ihrer Familie bei. Ebenfalls anwesend waren der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg, und dessen Familie.
Ein „Zeichen gegen das Vergessen“, so Samtgemeindebürgermeister Werner Gerdes, wurde auch in Werlte am Gedenkstein für die jüdischen Bewohner des Ortes gesetzt. Zusammen mit Schülern der Oberschule gedachten zahlreiche Bürger der Opfer und legte ein Gesteck am Gedenkstein nieder.
Späte Ehrung der Opfer
Dank der Forschungen von Josef Meyer wisse man heute, dass vor 1939 in Werlte sieben jüdische Familien lebten, die „in die Bevölkerung integriert“ waren, so der Werlter Bürgermeister Willfried Lübs. Für jede Familie stellten die Schüler eine Kerze vor den Gedenkstein am Rathaus. Den jüdischen Familien in Werlte wurden im November 1938 die Gewerbescheine entzogen, die jüdischen Kinder mussten die Volks- und Mittelschule verlassen. 1939 wanderten drei der jüdischen Werlter Familien nach Kuba, Kolumbien und London aus.
Die Geschehnisse während der Reichspogromnacht in Werlte sind aufgrund von Gerichtsprotokollen rekonstruierbar: „Ein SA-Kommando aus Meppen fuhr, nachdem es in Sögel die Synagoge angezündet und völlig zerstört hatte, nach Werlte, schaffte das Inventar aus dem jüdischen Betraum, der sich im Hause von Samuel Jacobs befand, auf den Marktplatz, übergoss es mit Benzin und verbrannte es“, heißt es dort. Die Gedenkveranstaltung solle laut Lübs „eine späte Ehrung der Opfer“ sein. (Ems-Zeitung vom 11.11.2013, Papenburg, Florian Feimann, Anna Heidtmann, Eva Kleinert und Anna Kröger)